Statement zum Interview mit Mephisto 97.6

Statement zum Interview mit Mephisto 97.6

„Wir sind nie Götzendiener der formalen Demokratie gewesen, das heißt nur: Wir unterscheiden stets den sozialen Kern von der politischen Form der bürgerlichen Demokratie, wir enthüllten stets den herben Kern der sozialen Ungleichheit und Unfreiheit unter der süßen Schale der formalen Gleichheit und Freiheit – nicht um diese zu verwerfen, sondern um die Arbeiterklasse dazu anzustacheln, sich nicht mit der Schale zu begnügen, vielmehr die politische Macht zu erobern, um sie mit neuem sozialen Inhalt zu füllen. Es ist die historische Aufgabe des Proletariats, wenn es zur Macht gelangt, an Stelle der bürgerlichen Demokratie sozialistische Demokratie zu schaffen, nicht jegliche Demokratie abzuschaffen. […] Sozialistische Demokratie beginnt zugleich mit dem Abbau der Klassenherrschaft und dem Aufbau des Sozialismus. Sie beginnt mit dem Moment der Machteroberung durch die sozialistische Partei. Sie ist nichts anderes als die Diktatur des Proletariats.
Jawohl: Diktatur! Aber diese Diktatur besteht in der Art der Verwendung der Demokratie, nicht in ihrer Abschaffung, in energischen, entschlossenen Eingriffen in die wohlerworbenen Rechte und wirtschaftlichen Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft, ohne welche sich die sozialistische Umwälzung nicht verwirklichen läßt.“
Rosa Luxemburg - Zur russischen Revolution
 
 
Im folgenden möchten wir uns zum Radiobeitrag äußern, der am 08.11.2022 durch das Radio Mephisto 97.6 ausgestrahlt wurde (Link / ab etwa Minute 22:50) und Ausschnitte eines Interviews mit uns enthielt. Wir bedauern, dass das Interview in einer Art und Weise zusammengeschnitten wurde, die das Anliegen unseres Projektes stark verkürzt und uns nicht ermöglichte, den mit ins Boot geholten Akteuren (Tobias Hollitzer – Leiter des Museums „Runde Ecke“ sowie Ilko-Sascha Kowalczuk - 1998 – 2000 wissenschaftlicher Referent in der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und seit 2001 Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter in der Abteilung Bildung und Forschung beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR) Inhaltliches zu entgegnen.

Direkt zu Beginn des ausgestrahlten Beitrags wird das Projekt mit einem verkürzten Fokus dargestellt - So heißt es, wir wollen „sozialistische/kommunistische Orte und Themen wieder mehr in den Fokus der Öffentlichkeit rücken“. Das ist zwar richtig, aber nur ein Teilaspekt. Ein Blick auf unsere Website verrät, dass es uns um mehr geht. Dort schreiben wir: „Mit Schrecken und Sorge beobachten wir, wie das einstmals lebendige und präsente Andenken an die Revolutionäre der Arbeiterbewegung nach und nach in Vergessenheit gerät oder sogar aktiv getilgt wird. Relieftafeln an den ehemaligen Wohnorten von Sozialdemokraten, Kommunisten und Antifaschisten werden abmontiert, Gedenksteine für die Opfer des Faschismus werden geschliffen, Gedenkstätten für Sozialisten werden weggerissen und Grabstätten für Zwangsarbeiter und Soldaten, die Deutschland vom Faschismus befreiten, überwuchern lautlos und unbemerkt.“ Auch bei einem Blick auf unsere Karte und unsere bisher veröffentlichten Posts in den Sozialen Medien sollte dies deutlich werden. So wählten wir auch den Ort des Treffens auf dem Südfriedhof und erklärten, dass dort ein Querschnitt durch die Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung Leipzigs zu finden sei. Vom Napoleonstein nördlich des Südfriedhofes, an dem sich Sozialdemokraten während der Zeit der Sozialistengesetze illegal trafen, über die Gräber verschiedener Vorreiter der Arbeiterbildungsvereine und prägender lokaler und überregionaler Journalisten, Gedenkstätten für die Gefallenen gegen den Kapp-Putsch, die Gräber der ermordeten Antifaschisten im Ehrenhain und den Rückbau des Ehrenhains selber - all das lässt den Ort zu einem spannenden Zeitzeugnis werden. Dieser kurze Exkurs wurde leider weggeschnitten – hätte er womöglich ein allzu differenziertes Bild vom Projekt gezeichnet?

Sehr schnell spezialisierte sich unser Gesprächspartner Kalwin K. jedoch auch im persönlichen Interview mit uns auf Fragen zu Ulbricht und der DDR. Das verwunderte erstmal nicht, hatten wir doch durch den Fund der Tafel zu seinem Gedenken einiges in diese Richtung veröffentlicht und unseren positiven Bezug zur DDR deutlich gemacht. Dass wir diese in einer Traditionslinie mit der revolutionären Arbeiterbewegung sehen, ist nichts, was wir zurückhalten wollen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war sie der Versuch den Sozialismus in Deutschland aufzubauen. Ein Anliegen für das Marx, Liebknecht, Luxemburg, Zetkin, die Schumann-Engert-Kresse Gruppe und viele vor und nach ihnen gekämpft und ihr Leben gelassen haben. Dass man sich positiv auf die einen bezieht, aber andere, unliebsame verteufelt, lässt sich für uns nur daraus erklären, dass man die Personen von ihren Inhalten abspaltet, das Gedenken an sie entleert und den gemeinsamen Kampf abstreitet. Das wollen wir nicht zulassen. Unsere Arbeit findet in einem kritisch-solidarischen Verhältnis zu unseren Vorkämpfern und einer möglichst wissenschafltichen Art und Weise statt – die antikommunistische Hetze und unwissenschaftlichen Diffarmierungen à la „Oberster Mauerbauer, der eine ganze Gesellschaft - 17 Millionen Menschen - präventiv hat einmauern lassen“ (Kowalczuk) stellen für uns keine konstruktive Auseinandersetzung mit der Idee und Umsetzung des Sozialismus, den gesellschaftlichen Verhältnissen der damaligen Zeit oder den Persönlichkeiten dar, die an der Gestaltung der Gesellschaft beteiligt waren. Besonders amüsant war für uns hier am Rande, dass Herr Hollitzer feststellte, dass wir in „SED- und Altkommunistischen Ideen“ verhaftet seien – grade die Biografie Ulbrichts jedoch aus einer Quelle stammt, die 1986 an der Hoover Institution der Stanford University in den USA veröffentlicht worden war. Sie dürfte also nicht in Verdacht stehen, oh grausige SED – Propaganda zu verbreiten. Auch dies erwähnten wir im Interview mit Radio Mephisto, aber offenbar interessieren zugrundeliegende Quellen nur diejenigen, die an wissenschaftlich basierten Auseinandersetzungen interessiert sind.

Ein weiterer Punkt, zu dem wir uns äußern möchten, ist der Vorwurf der „Demokratiefeindlichkeit“. In der Regel wird er gegen Kritiker und Feinde der bürgerlich-kapitalistischen Demokratie verwendet. Dabei werden menschenverachtende Ideologien wie Faschismus und religiöser Fanatismus, in einem Satz mit sozialistischen Ideen genannt. Dies dient einer präventiven Delegitimierung nach dem Schema der sog. „Hufeisentheorie“, in der „jeder Extremismus immer schlecht sei“. Meist geht den Vorwürfen keine Debatte um ein gemeinsames oder divergierendes Demokratieverständnis voraus, geschweige denn Gespräche darüber, ob ein kapitalistisches System überhaupt wirkliche Demokratie herstellen könnte. In unseren Augen kann echte Demokratie -  also Teilhabe aller an der politischen Willensbildung - nur dort stattfinden, wo sich die ökonomische Grundlage der Gesellschaft in den Händen der Mehrheit der Bevölkerung - in Händen der Arbeiterinnen und Arbeiter - befindet, anstatt von der Profitgier des Kapitalismus für optimierte Rahmenbedingungen der Ausbeutung ausgenutzt zu werden. Sie kann stattfinden, wo anstelle von Ausbeutung und materieller wie geistiger Verarmung die produktiv gestalterische Teilnahme an der Gesellschaft tritt. Wo Mechanismen eingerichtet sind, die aus den Betrieben, Schulen, Universitäten und der Nachbarschaft heraus ermöglichen, politische Entscheidungen zu beeinflussen. Die Verfassung der als „undemokratisch“ verteufelten DDR bspw. wurde in einer öffentlichen Breite diskutiert, wie Gesetzgebungen in der BRD es heutzutage zu wünschen übrig lassen. In einer Diskussionsphase zum 5. Entwurf der Verfassung wurden insgesamt 15.000 Änderungsvorschläge von Gemeinde- und Belegschaftsversammlungen, Schulen und Universitäten der sowjetischen Zone eingesendet, über verschiedene Ausschüsse zusammengetragen und ausgewertet, sodass sie in Änderungen an 52 Artikeln der Verfassung mündeten. Wir wollen uns konkret mit den in der DDR eingerichteten Mitteln zur demokratischen Teilhabe auseinandersetzen, statt der allgemeinen antikommunistischen Hetze gegen sie anheim zu fallen. In diesem Sinne weisen wir also den Vorwurf der „Demokratiefeindlichkeit“ scharf zurück und fragen, welche Demokratie hier gemeint ist und wie sie umgesetzt wird – die des Kreuzchens auf dem Wahlzettel? Die der Cum-Ex-Geschäfte, Maskenskandale und Lobbyisten? Die, in der Regierungspolitiker eher auf Arbeitgeberkonferenzen knicksen, als für die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter einzustehen? Unserer Ansicht nach, wird es eine Demokratie im Sinne der Arbeiterklasse im Kapitalismus nicht geben. Das scheint uns in den Augen von Herrn Hollitzer zu „Demokratiefeinden“ zu machen. Nur ist uns das herzlich egal – auch Genossen und Genossinnen wie die Liebknechts, Bebel, Luxemburg, Zetkin, Thälmann uvm. wurden in ihrer Zeit als Staatsfeinde und „Feinde der Demokratie“ betrachtet – sie alle einte jedoch der Kampf für eine vom Kapitalismus befreite Gesellschaft.

Eine kurze Bemerkung zur Rolle der Medien in einer Demokratie und dem Radio Mephisto 97.6 im besonderen wollen wir uns ebenfalls erlauben. Da das Radio Mephisto 97.6 nicht durch explizit antikapitalistische Inhalte oder Bezüge zur revolutionären Arbeiterbewegung auffällt, sondern lediglich seine „Unabhängigkeit“ betont, wunderte uns nicht, dass es unserem Projekt kritisch gegenübersteht und kontroverse Themen im Interview anbringt. Dass das Interview mit uns allerdings in so einer Art und Weise gekürzt wurde, erstaunte uns dann allerdings doch. Grade in Bezug auf die Demokratie stellen wir hier einige Mängel fest. Die Medien, die nicht ohne Grund häufig als Vierte Gewalt bezeichnet werden, tragen im größerem oder wie in diesem Fall im kleineren Rahmen maßgeblich zur Meinungsbildung der Gesellschaft bei – Sie haben eine Verantwortung darin Bildung und Diskussion zu ermöglichen, die für eine Demokratie maßgebliche Bestandteile sind. Sowohl der tendenziöse Zusammenschnitt des Interviews, als auch das Hinzuziehen von zwei weiteren Interviewpartner – ohne unser vorheriges Wissen - verunmöglichten eine echte Diskussion. Weder hatten wir die Möglichkeit auf die unwissenschaftlichen Behauptungen der beiden Herren einzugehen, noch machte sich Radio Mephisto die Mühe unsere Positionen im richtigen Kontext als Erwiderung darzustellen. Stattdessen bemüht man die ewigen Vorurteile des Antikommunismus. Damit steht man zwar gut im aktuellen Diskurs, einen Schritt zur Evaluierung von Alternativen zum Kapitalismus hat man damit jedoch nicht getan.

Und so kommen wir zu unserem letzten (leider ebenfalls herausgeschnittenen) Apell: Das grundsätzliche Anliegen unseres Projektes ist nicht die stumpfe Verherrlichung roter Geschichte. Uns genügt nicht einen roten Stern hier aufzuspüren, einen Kommunisten dort zu ehren. Wir wollen nicht, dass alles unkritisch und unhinterfragt aufgesogen wird. Wir wollen, dass ihr euch mit der Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung beschäftigt, die Schriften ihrer Vordenker lest, die stattgefundenen Diskussionen nachvollzieht, ihre zugrundeliegenden Ideen durchleuchtet und versucht die Lehren, die wir daraus ziehen können auf heute zu übertragen. Denn: Erinnern heißt Kämpfen!
 
Rotes Leipzig
November 2022
 

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