Julian Marchlewski

17. Mai 1866 Włocławek (Polen)
22. März 1925 Nervi bei Genua (Italien)

Am 17. Mai 1866 wurde Julian Baltazar Marchlewski im vom zarisitischen Russland beherrschten Włocławek als Kind eines verarmten Getreidehändlers und einer Lehrerin deutscher Herkunft geboren. Dem Wunsch seiner Eltern, eine Offizierslaufbahn einzuschlagen, kam er nicht nach und zeigte stattdessen mehr Interesse für die Lebensrealität einfacher Arbeiter. 1882 siedelte die Familie nach Warschau über, wo Marchlewski das Gymnasium besuchte und in einem illegalen Selbstbildungszirkel marxistische Schriften studierte. 1885 wurde Julian Marchlewski Mitglied in der Polnischen Arbeiterpartei. 1887 schloss er das Gymnasium ab, begann jedoch kein Studium, sondern arbeitete als Wollgarnfärber in einer Warschauer Textilfabrik.
Wegen seines Engagements in der sozialistischen Arbeiterbewegung fahndete ab 1889 die zaristische Geheimpolizei nach ihm, der sich jedoch in Deutschland aufhielt, als Färber arbeitete und Kontakt zur deutschen Sozialdemokratie aufnahm. Ebenfalls 1889 kehrte er nach Polen zurück, arbeitete in Łódź und beteiligte sich an der Gründung des Bundes Polnischer Arbeiter. Im Oktober 1891 wurde Julian Marchlewski verhaftet, in der Warschauer Zitadelle inhaftiert und nach einem Jahr gegen eine Kaution freigelassen. Nach seiner Haftentlassung verließ er Polen erneut und begab sich in die Schweiz. In Zürich studierte er gemeinsam mit Rosa Luxemburg Staats- und Rechtswissenschaften bis er 1896 seinen Doktorgrad erwarb. In die Zeit des Studiums fällt nicht nur das Kennenlernen seiner künftigen Frau und Kampfgefährtin Bronislawa, sondern auch die Gründung der Sozialdemokratischen Partei Polens und Litauens, an der er ebenso wie Rosa Luxemburg beteiligt war.
1896 begab sich Julian Marchlewski wieder nach Deutschland, um wie er selbst sagte aus dem Leben der Bruderpartei zu lernen. Bei einem Aufenthalt in Dresden 1898 lernte er ebenfalls durch die Vermittlung von Rosa Luxemburg die Führer des revolutionären Flügels der Arbeiterbewegung, Clara Zetkin und Franz Mehring, kennen. Aufgrund einer Ausweisung aus Sachsen, zog er 1900 nach München, wo er W. I. Lenin kennenlernte und half eine Druckerei für die "Iskra" zu finden, deren erste Ausgabe bereits mit seiner Hilfe in Leipzig gedruckt worden war. Er beschaffte ebenfalls Material und Korrespondenzen für die "Iskra". Im Sommer 1901 unternahm er außerdem eine Fahrradour entlang der österreichisch - deutschen Grenze, um Schmuggelwege auszukundschaften, auf denen die "Iskra" und andere marxistische Schriften nach Russland gebracht werden konnten. Um von seinen politischen Aktivitäten abzulenken und seinem Interesse für Literatur nachzukommen, leitete in München einen Verlag, der sich die Aufgabe stellte, Werke fortschrittlicher Schriftsteller Polens und Russlands in Westeuropa zu verbreiten. So verlegte der Verlag Dr. Julian Marchlewski und Co. beispielsweise als erster Gorkis Drama "Nachtasyl" in deutscher und russischer Sprache. In der "Leipziger Volkszeitung" unter Leitung von Franz Mehring erscheinen außerdem ab 1902 regelmäßig Artikel von Julian Marchlewski unter seinem Deck- und Parteinamen "Karski" - bis 1915/16 waren es etwa 1400.
Als sich nach dem Blutsonntag in Skt. Petersburg die russische Arbeiterklasse erhob und sich auch das polnische Proletariat anschloss, reiste Marchlewski nach Warschau, arbeitete an der Herausgabe des "Roten Banners" mti und sprach auf zahlreichen Veranstaltungen. 1906/1907 wurde er durch einen Zufall verhaftet und in der Festung Modlin inhaftiert. Seine tatsächliche Identität blieb jedoch unentdeckt.
1908 verließ Marchlewski, wiederum von der zaristischen Polizei verfolgt, Polen und begab sich nach Berlin, in die Nachbarschaft seiner langjährigen Freunden Rosa Luxemburg und Franz Mehring. 1914 - 1916 gehörte er zu den Revolutionären der deutschen Arbeiterbewegung, die unmittelbar nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges, den Kampf gegen den Imperialismus aufnahmen und die "Spartakusgruppe" gründeten. Er verfasste illegale Schriften und Spartakusbriefe, teilweise unter dem Namen Johannes Kämpfer. Nach einer von der Spartakusgruppe am 01. Mai organisierten Demonstration wurde Marchlewski jedoch am 22. Mai 1916 verhaftet, in eine Militäranstalt eingeliefert und zwei Monate in strengster Einzelhaft gehalten, bevor er im Oktober in das Lager Havelberg überführt wurde.
Nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen Sowjetrusslands zu Deutschland war 1918 die Befreiung Marchlewskis eine der ersten Maßnahmen der Sowjetregierung. Da er russischer Staatsbürger war, gelang ein Gefangenenaustausch und Anfang Juni 1918 traf der schwerkranke, aber ungebrochene Julian Marchlewski in Petrograd ein. In den folgenden Monaten arbeitete er im Dienste Lenins und der Partei der Bolschewiki, bis er im Dezember von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg telegrafisch nach Deutschland gerufen wurde. Illegal schlug er sich nach Berlin durch, traf seine Genossen jedoch nicht mehr lebend an, da sie drei Tage vor seinem Eintreffen von den nationalsozialistischen Faschisten ermordet worden waren. Nichtsdestotrotz blieb Marchlewski in Deutschland und wurde 1919 in das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Deutschlands aufgenommen. Im Auftrag der Partei ging er ins Ruhrgebiet, um dort den Kampf der Bergarbeiter zu unterstützen und auf Versammlungen zu den Ruhrkumpeln zu sprechen. Als er steckbrieflich gesucht wurde, floh er wiederum nach Moskau. Hier nahm er an der Konstituierung der III. Internationale teil.
In den Jahren 1919 - 1922 war er sowohl Vorsitzender des Provisorischen Revolutionären Komitees, das in den befreiten Gebieten Polens die provisorische Regierung übernahm als auch Vertreter der jungen Sowjetmacht bei Friedensverhandlungen mit Finnland, Litauen und Japan und nahm erste Kontakte nach China auf. 1922 - 1925 wirkte er als Rektor der Kommunistischen Universität der Nationalen Minderheiten des Westens in Moskau, an der hauptsächlich Revolutionäre aus Polen und den baltischen Ländern studierten. Im gleichen Zeitraum, 1923, war Julian Marchlewski ebenfalls Initiator und erster Vorsitzender der Internationalen Roten Hilfe (MOPR). 
1925 wurden die physischen und psychischen Anstrengungen, denen Marchlewski sich während seines unermüdlichen Kampfes unterzogen hat unübersehbar. Immer öfter verweigerte sein Körper ihm den Dienst und die Partei schickte ihn nach Italien zur Kur. Am 25. März 1925 verstirbt Julian Marchlewski im Kurort Nervi bei Genua.
 
Clara Zetkin über Julian Marchlewski (1925): "Sein Lebenswerk steht unverwischbar auf den ruhmvollen Seiten der proletarischen Geschichte. Es sichert Marchlewski seinen Platz im Patheon der proletarischen Revolution, in dem großen Herz der Arbeiter aller Länder, die heute Kämpfer sein müssen, um morgen Sieger, Befreite, Schöpfer des Kommunismus zu sein." 


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